Puppe Emmas spannende Geschichte
Die Rettung kam in letzter Sekunde. Aus einem Wäschekorb voll mit Müll hat Roselinde Friedel beim Umzug „Emma“ gerettet. Eine über 120 Jahre alte Porzellan-Gliederpuppe mit einer spannenden Geschichte, die weit hineinreicht in die Bayreuther Sozialdemokratie und die Puppenherstellung im Coburger Raum.
Das Puppenkind mit den dunklen Schlafaugen sah damals erbarmungswürdig aus, erinnert sich die heute 85-jährige Roselinde Friedel. Kein Vergleich zu heute. Die wenigen verbliebenen Haare waren verfilzt, das schäbige Kleid zerrissen. Und so hatte ihr Mann Heinz, als der Umzug aus dem alten Haus hinter dem jetzigen Feuerwehrhaus in den Neubau in der Geschwister-Scholl-Straße anstand, den Dachbodenfund auch gleich mit zum Müll in den Wäschekorb geworfen. Doch er hatte seine Rechnung ohne seine Frau gemacht, die genau in dem Augenblick kam. „Das ist doch eine wertvolle Puppe“, rief sie aus. Von Staub und Schmutz befreit, holte sie „Emma“ nach Hause.
Und von ihrer Schwiegermutter Katharina Friedel erfuhr sie, wie die Porzellanpuppe einst zur Familie kam. Gleich nach dem Schulabschluss hatte Katharina Friedel Arbeit im Haus des Lehrers und Sozialdemokraten Oswald Merz gefunden, der von 1924 bis 1933 in der Humboldtstraße in Bayreuth wohnte. Wie zu dieser Zeit häufig üblich, wurde das junge Mädchen als Hilfe im Haushalt eingestellt. Und Roselinde Friedel erinnert sich an Gespräche mit ihrer Schwiegermutter. Sie habe dort viel gelernt, und auch später noch oft erzählt, dass Oswald Merz‘ Ehefrau Emilie das so und so gemacht habe.
Oswald Merz, der gebürtige Schwabacher, stammte aus einem bürgerlichen Elternhaus und war im September 1924 an die Lehrerbildungsanstalt Bayreuth versetzt worden. Der Historiker Christoph Rabenstein hat sich intensiv mit der Vita eines der führenden Bayreuther Sozialdemokraten, nach dem heute auch eine Straße in Bayreuth benannt ist, auseinandergesetzt. Merz übernahm sofort die Leitung beim Reichsbanner, ein politischer Wehrverband zum Schutz der demokratischen Republik. Gemeinsam mit dem Reichstagsabgeordneten Friedrich Puchta trat Oswald Merz als Redner bei Großdemonstrationen der SPD und des Reichsbanners auf.
Bereits 1926 kam es zu ersten blutigen Auseinandersetzungen zwischen Nationalsozialisten und SPD-Anhängern. Im NS-Blatt „Mein Kampf“ wird Merz scharf attackiert. Ihm wird gedroht, die SA gegen ihn einzusetzen. Im März 1933 dann die erste Verhaftung durch Bayreuther Nazis, vermutlich damals bereits unter Beteiligung des Hans Schemm, erbitterter Gegenspieler und Berufskollege, inzwischen bayerischer Kulturminister. „Sie haben sich bekämpft bis aufs Messer,“ sagt Rabenstein. Im Oktober sorgte Schemm dafür, dass Merz aus dem bayerischen Staatsdienst entlassen wurde und daraufhin unter prekären Verhältnissen lebte. Ende 1933 zog die Familie Merz um nach Frankfurt. Merz sah in der „Hochburg der Nazis“ Bayreuth keine Perspektive mehr.
Und in diese Zeit fiel vermutlich auch die Übergabe der Porzellanpuppe. „Das kann ich mir gut vorstellen,“ sagt Christoph Rabenstein, „dass Frau Merz sich bei der Verabschiedung von ihrer Haushaltshilfe bedanken wollte.“
Den Wert der Puppe – später von Puppendoktor Peter Packert aus Neustadt bei Coburg auf rund 1.400 bis 1.600 Mark geschätzt – hat Katharina Friedel wohl nicht erkannt, auch wenn sie so manches Mal Geschichten aus dem Hause Merz erzählt hatte. Roselinde Friedel erinnert sich beispielsweise an die intensive Chortätigkeit von Oswald Merz über die geredet wurde. Rabenstein bestätigt, dass Merz ein begnadeter Musiker gewesen sei, dem immer die Arbeit mit seinen Chören am Herzen lag. In Bayreuth habe er zwei Chöre geleitet. Selbst Siegfried Wagner sei begeistert gewesen von deren Können.
Nach seiner Umsiedlung ab 1934, dann schon in Frankfurt, bekam Merz Besuch von seinen Bayreuther Arbeitersängern. Auch Oswald Merz kam nach Bayreuth zurück und wurde mit seinen Arbeitersängern verhaftet, weil man ihm Umsturzpläne vorwarf. Es kam zum Prozess und in diesem Zusammenhang erhängten sich auch angeklagte Chormitglieder.
Die Verbindung der Familie Friedel zum Hause Merz wird auch später noch aufrechterhalten. So weiß Roselinde Friedel von ihrer Schwiegermutter, dass Hildegard Merz, die Tochter des Ehepaares, noch einige Male zu Besuch war bei ihr. „Sie hatten auch Briefkontakt untereinander.“ Und noch an eine Besonderheit kann sie sich gut erinnern: „Wenn Hildegard Merz zu Besuch kam, hat meine Schwiegermutter immer Sauerbraten gekocht. Den liebte sie.“
Doch wo ist Emma hergestellt worden? Wo liegen ihre Wurzeln? Licht in das Dunkel bringt Puppendoktor Peter Packert, der die Puppe 1997 restauriert. Der Kostenvoranschlag dafür lag bei rund 500 Mark, und Roselinde Friedel lehnte daraufhin zunächst ab, doch ihr Mann Heinz sagte: „Jetzt hast du sie aus dem Müll gerettet, jetzt gebe ich dir das Geld dafür.“ Packert säubert und repariert die Puppe nicht nur, ersetzt einige Teile und versieht sie mit einer Echthaarperücke, er kennt auch den Hersteller. Die Puppe ist von Armand Marseille, ein deutsch-russischer Puppenfabrikant, geboren 1856 in Sankt Petersburg, und gestorben 1925 bei Coburg. Armand Marseilles Vater war Baumeister am Hof des russischen Zaren und stammte aus einer Hugenottenfamilie. Um 1860 verließ die Familie Russland und ließ sich nach einiger Zeit in Coburg nieder. Armand Marseille machte Karriere und entwickelte sich zu einem der weltgrößten Lieferanten von Puppenköpfen aus Biskuitporzellan. Rund 1.000 Köpfe wurden pro Tag hergestellt und von vielen namhaften Puppenherstellern der damaligen Zeit verwendet.
Auch Emma ist von ihm produziert worden. Deutlich erkennbar an der Gussformnummer, mit der sie im Nacken gemarkt ist. Die Buchstaben A und M stehen für Armand Marseille und die Ziffer 390 für Kurbelköpfe. Der Porzellankopf wird mitsamt Hals so modelliert, dass er am Torso mit Gummibändern oder Spiralfedern befestigt werden kann, sodass die Puppe beweglich ist. Nach dem Restaurieren nähte Roselinde Friedel für ihre Puppe ein passendes Kleid, kaufte Schuhe und Söckchen und sie bekam einen Ehrenplatz auf dem Cocktailsessel im Schlafzimmer. „Ein Besucher hat mir damals 1.800 Mark geboten für die Puppe,“ erzählt sie. Kein Wunder, so schick wie sie jetzt aussah mit dem zart gestreiften Kleidchen und frisch frisiert. „Aber wir waren ja so stolz darauf. Wir wollten sie behalten.“
Das hat sich heute geändert. Roselinde Friedel möchte, dass „Emma“, wie Peter Packert sie genannt hat, eine neue Puppenmutti findet, die ihr einen Platz in ihrem Zuhause bietet. Der Erlös aus dem Verkauf der Puppe soll an die Kurier-Stiftung „Menschen in Not“ gehen. Roselinde Friedel möchte, dass Kinder damit unterstützt werden. Wie könnte es auch anders sein bei einer Porzellanpuppe mit solch bewegter Vergangenheit.
Wer Interesse an „Emma“ hat, und gleichzeitig Gutes tun möchte, kann mitsteigern: Mindestens 300 Euro sollten es sein, dann können Sie mitbieten für die Porzellan-Gliederpuppe, die – so schätzt Puppendoktor Peter Packert aus Neustadt bei Coburg – um das Jahr 1900 von Armand Marseille hergestellt wurde. Der Erlös aus dem Verkauf kommt vollständig der Kurier-Stiftung „Menschen in Not“ zugute, und dort in erster Linie für Kinderprojekte. Das ist der Wunsch der Spenderin. Nennen Sie uns Ihr Gebot und schreiben Sie uns unter der E-Mail-Adresse: info@menschen-in-not.org. Die Auktion läuft bis zum 30. Juni 2024. Der Höchstbietende erhält den Zuschlag. Der Zuschlag verpflichtet zur Abnahme und zur Bezahlung. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir die Puppe nur gegen Vorkasse abgeben können. Wer bietet, erklärt sich mit den Bedingungen einverstanden.