Immer noch ein aktuelles Thema
Wie in einem gemütlichen Wohnzimmer – Perserteppich auf dem Boden, orangebraune Sessel – so sieht es im Beratungszimmer von Martina Höll aus. Seit 30 Jahren arbeitet sie für die Aidsberatung der Diakonie. Und bietet ein niedrigschwelliges, anonymes und kostenloses Angebot für alle, die Angst haben, sich vielleicht infiziert zu haben, aber mit der Sorge nicht zum Hausarzt gehen wollen.
Aids wurde zum ersten Mal 1981 diagnostiziert. Das HI-Virus als Ursache ist vermutlich viel älter und löste damals eine Pandemie aus. Menschen mit AIDS erkranken häufig an Lungenentzündungen und Pilzerkrankungen. Doch die Medizin hat Fortschritte gemacht. Aids kann gut behandelt werden.
Seither ist es ruhig geworden um das Acquired Immunodeficiency Syndrome, also das „Erworbene Immunschwächesyndrom“. Dennoch ist Aids noch immer mitten unter den Menschen. Und damit auch die Angst, sich infiziert zu haben.
Seit 2016 hat man bei der Diakonie damit begonnen, kostenlose und anonyme Testabende anzubieten, um Menschen Sicherheit zu geben. „In der völligen Hysterie der ersten Jahre wollten es viele einfach nicht wissen, ob sie erkrankt sind,“ erinnert sich Martina Höll. „Es war ja auch egal, man hätte eh nichts tun können. Das hat sich inzwischen vollständig geändert. Dank des medizinischen Fortschritts kann man HIV als chronische Krankheit bezeichnen, mit der man alt werden kann. Umso wichtiger ist es, den Status zu erfahren, um mit einer Therapie beginnen zu können. Und außer Aids gibt es ja noch viel mehr Geschlechtskrankheiten, wie Chlamydieninfektionen, Gonorrhö oder Syphilis.“
Gesundheitsämter bieten ebenso Untersuchungen an und – bei Symptomen – übernehmen auch die Krankenkassen die Kosten dafür. „Aber für viele ist das Thema noch heute schambesetzt,“ sagt Martina Höll. „Und Aids wird noch heute tabuisiert. Viele möchten damit einfach nicht zu ihrem Hausarzt gehen.“
Bei den Testabenden, die von der Kurier-Stiftung „Menschen in Not“ finanziert werden – geht es anonym zu. Man muss sich dafür zwar anmelden, aber nur mit dem Vornamen oder einem Spitznamen. „Rund 20 Personen sind es jedes mal, die an diesen Abenden kommen,“ sagt Martina Höll. „Und bei den Testabenden werden auch Gesprächsangebote unterbreitet. Das erleichtert manches. Für Tripper- und Chlamydien-Infektionen gibt es noch keinen Schnelltest. Die Teilnehmer müssen sich dann also einige Tage später melden. Aber das funktioniert alles bestens,“ sagt Martina Höll. „Ich finde es toll, dass das Angebot so unkompliziert angenommen wird. Und das ist auch ein Zeichen dafür, dass viele vor allem junge Leute auch Verantwortung übernehmen für ihren Partner.“
Das kostenlose Angebot der Diakonie wurde bisher finanziert über ein Pharma-Unternehmen, das sich jetzt allerdings zurückgezogen hat. Die Kurier-Stiftung sprang in die Bresche. Für Martina Höll ein Glücksfall. „Ich bin total begeistert, wie schnell das ging,“ sagt sie. „Das war für mich wie ein Weihnachtsgeschenk, dass wir diese kostenlosen Testabende weiterführen können.“
INFO: Der nächste Testabend ist bereits am Mittwoch, 19. April 2023, von 18 bis 20 Uhr , in der Friedrich-von-Schiller-Straße 11 ½. Anmeldung unter Telefon 0921/82500.
Wissenswerte Fakten zum Thema: In Deutschland leben rund 90.000 Menschen mit HIV. 2020 haben sich 2.000 Menschen neu mit HIV infiziert. Tendenz: sinkend. 97 Prozent der Menschen mit HIV-Diagnose nehmen HIV-Medikamente. Rund 9.500 Menschen in Deutschland wissen nichts von ihrer Infektion und erhalten deswegen keine Behandlung. Deswegen erkranken immer noch rund 900 Menschen pro Jahr an Aids oder einem schweren Immundefekt – obwohl es vermeidbar wäre. Etwa 30.000 Menschen sind bisher in Deutschland an den Folgen von Aids gestorben. (Stand: Ende 2020, Quelle: Robert Koch-Institut)